Nadine Nolde
Geliebtes Nutzvieh? Neuzeitliche Rinderskelette aus Bremerhaven-Geestemünde
Bei Ausgrabungsarbeiten, die im Rahmen eines Krippen Neubaus in Bremerhaven Geestemünde im Sommer 2013 stattfanden, konnten insgesamt 675 neuzeitliche Tierknochen (16. – 18. Jh.) mit einem Gesamtgewicht von 17,1 kg geborgen werden. Darunter befanden sich in einer Grube des 17. Jh. die fast vollständigen Skelette einer ca. zehn bis zwölf Jahre alten und ungefähr 115 cm großen Kuh und eines etwa drei Monate alten Kalbes. Vermutlich verstarben beide Tiere zum gleichen Zeitpunkt und wurden daher zusammen in eine Grube eingebracht.
Der rechte Vorderlauf der in nordsüdlicher Richtung, auf dem Bauch liegenden Kuh wies im Carpalgelenk eine stark angewinkelte Stellung auf, wie dies bei ruhenden Rindern oftmals zu beobachten ist. Der linke Vorderlauf hingegen stand leicht angewinkelt und aufgerichtet vor der Brust des Tieres während der linke Hinterlauf unter dem Rumpf lag und sich der rechte gestreckt an der Bauchseite des Tieres befand. Auch das Skelett des Kalbs ist weitestgehend vollständig und im anatomischen Verband vorhanden. Viele der Knochen, darunter der Oberschädel, liegen aufgrund der unausgereiften und porösen Knochenoberfläche in stark fragmentiertem Zustand vor und waren längst nicht so gut erhalten, wie die Knochen der Kuh. Das Kalb ruhte bäuchlings an der rechten Seite der Kuh, bei der es sich möglicherweise um das Muttertier des Kalbes handelt (Abbildung 2). Sein Alter konnte anhand der Zahnbefunde des Unterkiefers auf maximal 3 Monate geschätzt werden. Spuren, die auf Traumata oder auf eine gezielte Tötung hindeuten, fanden sich nicht an den Knochen.
Der Befund lässt verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu, Fakt bleibt, dass beide Tiere nahezu zeitgleich in die Grube eingebracht wurden. Die Positionen von Kuh und Kalb können mit der Vorgehensweise, die Kadaver mit den Füßen voran und mit Hilfe von Seilen in die Grube herabzulassen, zusammenhängen.
Dieses Szenario würde nicht nur die ungewöhnliche Bauchlage der Tiere und den engen Kontakt der Rückenlinie der Kuh mit der Grubenwand erklären, sondern auch die halbwegs aufrecht stehende rechte Vorderextremität und die Lage der linken Hinterextremität, die sich unter dem Körper befand. Das Kalb hingegen war klein und leicht genug, um es ohne Hilfsmittel in der Grube abzulegen. Als mögliche Todesursache käme eine ansteckende Krankheit in Betracht, die zum Tod von Kuh und Kalb führte. Um eine Ansteckungsgefahr für weiteres Vieh und den Menschen zu verhindern konnte das infektiöse Fleisch nicht verwendet werden. Stattdessen war eine Entsorgung der vollständigen Kadaver nötig. Jedoch wirkt der fast schon liebevoll über Vorderleib des Kalbes gebettete Kopf der Kuh irritierend. Rutschte er einfach während der Verfüllung der Grube unbeabsichtigt in diese Position oder legten die „Abdecker“ den Kopf der Kuh bewusst über den des Kalbes? Solch eine emotional anmutende Geste übersteigt allerdings den Charakter eines zweckmäßigen und wirtschaftlichen Verhältnisses von Menschen zu einfachem Nutzvieh, so dass folglich auch eine Interpretation als Bestattung hier nicht völlig ausgeschlossen werden kann.
Literatur:
K.-H. Habermehl, Die Altersbestimmung bei Haus- und Labortieren, Berlin 1975.
U. Lemppenau, Geschlechts- und Gattungsunterschiede am Becken mitteleuropäischer Wiederkäuer. Dissertation med. vet. (München 1964).